Erfolgreiche gehörlose und schwerhörige Menschen im Beruf

Arbeits- und Lebenswelten, Bildungsgeschichten und Personen

Inhaltsbereich

Arbeitsplatzsituation

Öffentlicher Dienst versus private Arbeitgeber

17 Interviewpartner (53%) sind beim öffentlichen Dienst beschäftigt. Im Vergleich trifft das für die Gesamtbevölkerung nur bei 11% zu (Statistisches Bundesamt, Zahlen von 2015).

10 Personen (31%) arbeiten in Unternehmen der freien Wirtschaft und 5 Personen (16%) sind selbstständig.

Ein Interviewpartner erklärt sich den geringen Anteil von Menschen mit Behinderung in der freien Wirtschaft so:

"Die freie Wirtschaft ist (…) nicht bereit, sich anzupassen oder sich darauf einzustellen. Im öffentlichen Dienst dagegen nimmt man schon mehr Rücksicht drauf."

Arbeitsassistenzen und Dolmetschdienste

Arbeitsassistenz nutzen nur 3 Personen, von ihnen zwei Selbstständige und eine Sozialarbeiterin im öffentlichen Dienst.

Dolmetschdienste umfassen Gebärdensprachdolmetscher und Schriftdolmetscher, jeweils vor Ort oder online: 15 Personen (47%) nutzen Dolmetschdienste, zum Teil auch in Kombination verschiedener Formen, wobei die Nutzung von Gebärdensprachdolmetschern deutlich überwiegt.

Soziale Faktoren am Arbeitsplatz

Vorgesetzte und Kollegen prägen die Arbeitssituation hörgeschädigter Menschen ganz entscheidend, besonders wenn es um berufliche Weiterentwicklung geht. Im Interview wurde daher nach der Förderung durch Vorgesetzte sowie nach der Zusammenarbeit mit Arbeitskollegen und -kolleginnen gefragt.

a) Förderung durch Vorgesetzte

Unterstützung durch Vorgesetzte (N = 28)

Frage an die IP:

„Werden Sie von Ihrem Vorgesetzten in Ihrem beruflichen Weiterkommen unterstützt?
Wenn ja, wodurch unterstützt er Sie konkret?“

28 Personen, die Vorgesetzte haben, haben auf diese Frage geantwortet. Von diesen berichten mit 86 % die meisten von ihnen, dass sie in irgendeiner Weise unterstützt werden.

Bei den Ja-Antworten lassen sich vier Begründungsmuster unterscheiden:

Unterstützung durch Vorgesetzte (N = 28)
  • Begegnung „auf Augenhöhe“
    (Verhalten des Vorgesetzen, bei dem er in erster Linie den Menschen sieht, nicht die Hörschädigung)

    "Ich fühl mich sehr gut von ihm unterstützt. Sehr, sehr gut angenommen, auch als Hörgeschädigte/ also eben nicht explizit als Hörgeschädigte, sondern einfach als Mitarbeiterin, als Mensch."

  • Anerkennung durch Übertragen von Verantwortung / Vertrauen in Kompetenz

    "Mein Chef sagte: ‚Aber du kannst das so gut. Mach deine Projekte selber. Ich wäre froh drum, wenn du mich entlastet, Du kannst das!"

  • Förderung von Weiterbildung

    "Ich kann an jeder Fortbildung teilnehmen, die ich machen möchte. Sie werden mir auch bewilligt."

  • Förderung durch Kenntnis/Interesse an der GH-Kultur

    "Mein Chef kam am ersten Tag [der Arbeit} auf mich zu, begrüßte mich und wollte mir eine Gebärde zeigen. Das war für mich eine Überraschung, dass so ein hohes Tier auf mich zukommt, am ersten Tag, mit einer Gebärde! Das hat was."

b) Beziehung zu Kollegen und Kolleginnen

Die wichtigsten Rahmenbedingungen Diese Zeichnung zeigt das Verhältnis des erfolgreichen Mitarbeiters zu seinen Kollegen. Ein Pfeil mit den Begriffen „erklären“, „informieren“ und „organisieren“ zeigt vom Mitarbeiter zu seinen Kollegen. Ein zweiter Pfeil mit den Begriffen „Wohlwollen“, „Akzeptanz“, „Verständnis“ und „Feedback“ zeigt von den Kollegen zum erfolgreichen Mitarbeiter. erklären informieren organisieren Feedback Verständnis Akzeptanz Wohlwollen Kollegen

7 Personen berichten, dass die Kollegen/Kolleginnen sehr wichtig sind für ihren beruflichen Erfolg, 14 berichten von einem guten Verhältnis zu den ihnen. Nur 4 Personen haben kaum Kontakt zu ihren Kollegen oder Kolleginnen.

Die Beziehung zu den Kollegen/Kolleginnen trägt zum beruflichen Erfolg bei,

  • wenn man „ein paar Sachen vorher erklärt“ und man „alles andere organisiert“ (z.B. Technik, Lichtverhältnisse …),
  • wenn die Kollegen/Kolleginnen Verständnis haben für die Hörschädigung und sie akzeptieren,
  • wenn man eine Führungsposition hat, denn dann kann man die Kommunikationssituation besser gestalten.

"Eine der wichtigsten Rahmenbedingungen ist, dass die Kollegen wohlwollend sind. Das heißt, dass die Kollegen/Mitarbeiter Verständnis dafür haben, dass die das akzeptieren, dass man schwerhörig ist und sich dann entsprechend drauf einstellen."

Bedeutung von Karriere: Etappenziele, Etappenerfolge, Anerkennung

Nur einzelne IP verwenden den Begriff „Karriere“, aber in vielen Fällen ist eine klare Zielstrebigkeit im Vorgehen erkennbar. Viele Personen betonen, dass ihr Erfolg vor allem auf einem gezielten „Durchplanen“ aller relevanten Schritte in Schule, Studium und Beruf beruht. Diese kleinen und großen Schritte sind Etappenziele und Etappenerfolge der jeweiligen Bildungsbiographie. Weil sie im direkten Vergleich zum Verlauf bei Menschen ohne Behinderung mit so viel Aufwand verbunden sind, werden sie subjektiv als sehr bedeutsam erlebt.

Einzelne IP, die den Begriff „Karriere“ benutzen, arbeiten in hierarchisch geprägten Bereichen, in denen sie die Karriereleiter erklommen haben. Doch es sind weniger Aussagen, als man in einer Untersuchungsgruppe von beruflich Erfolgreichen erwarten würde. Wichtiger als „Karriere“ erscheint es unserer Untersuchungsgruppe, ein für sich stimmiges berufliches Setting zu finden, in dem die eigenen Fähigkeiten wahrgenommen und anerkannt werden.